„Perspektivwechsel hilft beim Verständnis“

27. EDR-Studientag: Prominente Gäste, Nachbarschaft in Europa und Sprachförderung im Blickpunkt. Über 100 Teilnehmer waren in Meppen zu Gast.


MEPPEN - „Die Niederländerin Joke van Leeuwen ist nicht nur eine der originellsten, sondern auch eine der mutigsten Kinderbuchautoren der Gegenwart“, schrieb die Neue Zürcher Zeitung vor einigen Jahren. Und diesen Vorschusslorbeeren wurde die 65-jährige Autorin, Illustratorin und Kabarettistin auch als Gast beim 27. niederländisch-deutschen Studientag der Ems Dollart Region (EDR) gerecht. „Gute Freunde kann niemand trennen... Nachbarn im Europa der Gegenwart“ lautete der Titel der diesjährigen Tagung. Mehr als 100 Pädagogen aus der Grenzregion waren am Donnerstag nach Meppen in die Koppelschleuse gekommen und wurden von Joke van Leeuwen herausgefordert, einen anderen Blickwinkel auf Menschen, Dinge und Ereignisse zu werfen. „Andersherum sehen und denken“, lautete der Titel ihres Vortrags. Das Erkennen vermeintlich versteckter Sinnebenen oder manipulativer Absichten spielt dabei eine große Rolle. Van Leeuwen zeigte in diesem Zusammenhang mehrere Beispiele aus der Werbung. Doch auch einfache Beispiele verdeutlichen, dass die Welt ganz anders aussieht, wenn die Menschen sich von ihren Gewohnheiten und festgefahrenen Sichtweisen lösen. „Als ich in Neuseeland war, habe ich eine Weltkarte gefunden, die ganz anders aussah als die Karten, die wir in Europa kennen. Australien und Neuseeland standen im Zentrum der Karte. Europa war irgendwo links oben am Rand. Aus der Sicht der Australier und Neuseeländer ist dieser Blick natürlich logisch“, so die Autorin. Und so nimmt Joke van Leeuwen ihre Leser auch in ihren Büchern mit. Der Wechsel der Perspektive ist ihr wichtig: „Wir dürfen nicht immer denken, dass wir als Erwachsene die Erfahrenen sind und die Kinder immer die Unerfahrenen. Ein Perspektivwechsel hilft beim Verständnis.“

 


Auch der zweite Redner im Vormittagsprogramm des 27. EDR-Studientags war ein prominenter Gast. „Professor Dr. Friso Wielenga ist als herausragender Experte in Sachen deutsch-niederländischer Beziehungen bekannt“, kündigte die Tagesvorsitzende Elsine Wortelen den 61-Jährigen an. Und Wielenga bot den Teilnehmern einen unterhaltsamen Überblick, wie sich das Verhältnis zwischen den Niederlanden und Deutschland nach 1945 entwickelt hat. „Nachbarn zwischen Nähe und Distanz“ lautete der Titel seines Vortrags. Darin machte der Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster deutlich, dass die Nachbarschaft zwischen den beiden Ländern mehrere Phasen durchlaufen habe. „Nach dem Krieg gab es auf beiden Seite viele Vorbehalte, Vorurteile und Despektierlichkeiten. Ich würde das als politisch-psychologisches Missverständnis charakterisieren“, so Wielenga. „Auf niederländischer Seite ist der Begriff antideutsch für die Jahre von 1945 bis 1953 aber zu undifferenziert. Denn vor allem auf Basis gleicher parteipolitischer oder konfessioneller Interessen entstanden wieder Kontakte nach Deutschland. Den Niederländern war zudem schnell klar, dass sie die Bundesrepublik als Handelspartner und als Partner im Konflikt gegen die Sowjetunion brauchen. Deshalb gehörten die Niederlande auch zu den Befürwortern der deutschen Wiederbewaffnung.“ Die 60er Jahre seien trotz verbliebener Ressentiments geprägt von fortschreitender Normalisierung zwischen beiden Ländern. Die dritte Phase der Beziehungen begann mit einem Besuch des deutschen Bundespräsidenten Gustav Heinemann in Amsterdam im Jahr 1969: „Heinemanns dortige Kranzniederlegung war die moralische Geste, auf die viele Niederländer seit dem Kriegsende gewartet hatten. Die deutschen Nachbarn wurden nun zunehmend positiver wahrgenommen, was auch Umfragen verdeutlichten.“ Einen leichten Einschnitt in die niederländisch-deutschen Beziehungen habe es nur noch nach der deutschen Vereinigung 1990 gegeben. „Die Niederländer hatten es nun mit einem Nachbarn zu tun, der noch größer wurde als ohnehin schon. Sie befürchteten eine deutsche Dominanz.“ Die Bedenken konnten jedoch ausgeräumt werden. „Und so gibt es seit 1995 keine größeren Probleme zwischen den Niederlanden und Deutschland. Normalität ist eingekehrt. Der Krieg ist kein Thema mehr. Es bleibt aber etwas, das auch völlig normal ist: Die Spannung zwischen einem großen und kleinen Land. Die Niederländer wollen nicht als 17. Bundesland Deutschlands wahrgenommen werden.“


Sowohl Joke van Leeuwen als auch Professor Dr. Friso Wielenga betonten in ihren Vorträgen, dass Sprache für das kulturelle Verständnis eine große Rolle spiele. Diesen Faden nahmen auch die Workshops des 27. EDR-Studientags auf. Im Workshop „Der mehrheitliche Ansatz“ erläuterte Jasmijn Bloemert (Rijksuniversiteit Groningen) ein innovatives didaktisches Modell, um literarische Texte im Unterricht aus vier Blickwinkeln zu betrachten. Dr. Frauke Gruben von der Universität Vechta stellte die Grundprinzipien für das Verfassen von Lehrtexten in so genannter Leichter Sprache vor.


Peter Geerdink und Lea Timmer erörterten in ihrem Workshop die Möglichkeiten im Projekt „Frühe Nachbarsprache!“. Auf spielerische Art und Weise soll an den Grundschulen der Grenzregion Niederländisch und Deutsch unterrichtet werden. „Frühe Nachbarsprache“ ist Teil des Dachprojektes „Arbeitsmarkt Nord“. Lead Partner ist die Ems Dollart Region selbst.


Auch alternative Unterrichtsformen standen im Blickpunkt – zum Beispiel im Workshop „Zirkusspiele im Schulunterricht zur Förderung von geistigen, körperlichen und sozialen Kompetenzen“. Unter Anleitung von Diana Trautsch, Fachbereichsleitung Zirkus am Theaterpädagogischen Zentrum Lingen, wurden die Studientags-Teilnehmer im Zirkuszelt der Koppelschleuse auch selbst aktiv.

Der 27. EDR-Studientag  wurde im Rahmen des INTERREG V A-Programms „Deutschland-Nederland“ mit Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE), des Landes Niedersachsen sowie der Provinzen Drenthe, Groningen und Fryslân kofinanziert. Unterstützt wird der Studientag auch vom Taaluniecentrum NVT Brüssel

 

Quelle: http://www.edr.eu/de/news/home/news_id,305/perspektivwechsel-hilft-beim-verstndnis